St. Gallen Centrum

Kirche St. Mangen

Abtbischof Salomo und seine Hofkirche
Die Ritter von Ramschwag gehörten zum noblen schwäbischen Reichsadel. Sie gaben ihre Söhne Waldo und Salomo, um 860 geboren, gemeinsam in die äussere Schule des Klosters St. Gallen, bestimmten sie also zuWeltgeistlichen, nicht für die Mönchslaufbahn. Noch als Knaben verloren diese aber ihre Eltern. Der junge sehr begabte Salomo („Friedensfürst“) erbte viele Landgüter. Als junger Weltgeistlicher wurde Salomo Notar, später politischer Berater (Reichskanzler) von drei Kaisern, und war so Vertrauter der Reichsgewalt im chwabenland. Der hochgebildete, mächtige Mann hatte aber „der Welt entsagt“ und nach 885 in St. Gallen die Gelübde als Benediktinermönch abgelegt. Der Dreissigjährige wurde im Jahr 890 zum Abt des Benediktinerklosters St. Gallen in seiner allergrössten Blüte erkoren, und noch im selben Jahr 890 wurde er als „Salomo III“ zugleich auch Bischof von Konstanz.
Abtbischof Salomo lässt sich im Jahr 898 im Norden von St. Gallen auf einem Hügel („Irahügel“), der ihm privat gehört und wo er auch seine St. Galler Niederlassung hat, eine eigene Hofkirche bauen, zu Ehren des Heiligen Kreuzes als kreuzförmiger Zentralbau mit einer dominierendenWest-Ost-Achse. Der Altar steht im Ostflügel, der Haupteingang kommt (bis ins 19. Jahrhundert) vom Süden her. Salomo bereichert seine Kirche aber mit der wichtigen Reliquie des rechten Arms von Magnus („der Grosse“). Magnus war von Abt Otmar zur Gründung eines Tochterklosters nach Füssen geschickt worden und gilt als Apostel des Allgäus und als volksnaher Fürbitter. Die St. Mangenkirche mit ihren beiden Patrozinien ist von Anfang an eine beliebte Wallfahrtskirche. Salomo stattet darum die Kirche mit eigenen Landgütern aus: Degenau, Bernhardzell, Sitterdorf und Goldach. Daraus wird ein Chorherrenstift finanziert mit drei Ordensleuten und drei Weltpriestern samt Gesinde; ihr Wohnhaus vermutet man im Südwesten der Kirche, Magnihalden 19, wo sich später die Leutpriesterwohnung befindet.

Die Inklusin Wiborada: Beterin, Visionärin, Märtyrerin
Die adelige Wiborada (von Klingen, aus der Altenburg bei Märwil?) will Einsiedlerin werden. Salomo weist ihr um 912 eine Zelle an der zwölfjährigen Kirche St. Georgen zu, wo ihr Bruder Hitto bereits Mönchspriester ist. Am Pfingsttag 916 lässt sich Wiborada bei der achtzehnjährigen Kirche St. Mangen, wohin ihr Bruder Hitto inzwischen als Priester gewechselt hatte, in ihrer Zelle in der schattigen Nordostecke von Salomo eigenhändig einmauern. Die Inklusin ist hier nach dem Vorbild von St. Mang Beterin und Seelsorgerin, dazu auch Seherin. Am 5. Januar des Jahres 919 starb Abtbischof Salomo III fast 60 jährig in Konstanz und wurde dort in seinem Dom, dem Münster zu St. Marien, begraben, nicht wie seinerzeit gewünscht bei St. Gallen – St. Mangen.
Wiborada wurde nach zehn Jahren Inklusinnen-Leben am 1. Mai 926 von einer eindringenden Ungarnschar umgebracht – deren Überfall sie ein Jahr zuvor vorausgesehen und vor denen sie die Klosterbewohner gewarnt hatte. Bis zur Reformation wohnten nun immer wieder Frauen als Inklusinnen bei St. Mangen. Um 950 wurden die Gebeine Wiboradas aus der Zelle über einen Mauerdurchbruch in der Kirche St. Mangen übertragen. Um 960/970 verfasste der St. Galler Mönch Ekkehart I Wiboradas Lebensbeschreibung. 1047 wurde Wiborada auf Betreiben Heinrichs III durch Papst Clemens II in Rom heiliggesprochen. Ihre hohe Verehrung machte um 1100 die Vergrösserung der Kirche zum heutigen Umfang nötig.

Stadtkirche
1388 wurde der Friedhof bei St. Mangen erweitert. Der grosse Stadtbrand 1418 zerstörte nur die Dächer. Nun wurde mit der Irer-Vorstadt auch St. Mangen in die Stadterweiterung (Stadtmauer) einbezogen. Der Vorsteher des Chorherrenstifts zu St. Mangen wurde Leutpriester für die Quartierbewohner, verantwortlich für Predigt, Taufen, Trauungen und Bestattungen. 1488 schlug der Blitz in das Glockentürmchen in der Mitte des Daches („Dachreiter“). Darauf wurde 1505-08 ein Kirchturm, der jetzige, errichtet.

Reformation
In St. Gallen war die Reformation zunächst eine Bibelbewegung, mitgetragen von der Staatskirche.
Als im April 1523 der 38 jährige Waldshuter Pfarrer Dr. Balthasar Hubmaier, von dem man wusste, dass er im vergangenen Sommer Luthers Schriften entdeckt hatte und als Gelehrter nun zu den Evangelischen gehörte, in St. Gallen einen Besuch abstattete, wurde er von Bürgern aufgefordert, „er wolle dem Volk das Wort Gottes öffentlich verkünden. Er wurde in die Pfarrkirche St. Mangen geführt, wo er seine Prädigt hielt“ (Kessler). Dann predigte er im Freien hinter der St. Leonhardskirche am Abhang, wo gerade ein Ablass-Kreuzgang gehalten wurde, schliesslich in seiner Herberge am Rindermarkt, wo die Leute im und vor dem Haus zuhörten. Das waren die ersten evangelischen Predigten in St. Gallen.
Balthasar Hubmaier: geb. 1485 in Friedberg bei Augsburg, seit 1516 Priester, 1525 wiedergetauft, seitdem Wortführer der Täufer, 1528 43 jährig in Wien verbrannt. Ende 1523 kehrte Johannes Kessler bereits wieder aus Wittenberg zurück, begann aber im Januar 1524 eigene populäre Lesinen (Privathaus > Zunfthaus der Schneider > Zunfthaus der Weber). Angeführt von Bürgermeister Joachim von Watt (Vadian), verpflichtete am 5. April 1524 auch der St. Galler Stadtrat seine Pfarrer auf die Bibel: Reformation in St. Gallen als zweiter Schweizer Stadt. Fortan sollen die Pfarrer predigen „das haillige evangelion hell, clar und nach rechtem christenlichen verstand, one immischung menschlichs zuosatz, der uss biblischer geschrift nit gegründt ist.“

Stadtfriedhof, Vadiana, Collegium Musicum
Der Stadtrat erlaubte am 27. Februar 1528, dass auch aus St. Mangen sämtliche Reliquien und Kirchenbilder weggeschafft und ihre Edelmetalle zusammengeschmolzen werden. Die (wenigen) Überreste von Wiboradas Leib wurden irgendwo begraben, vielleicht bei der St. Mangenkirche oder im St. Katharinenkloster. Im Sommer liess der Rat im Kirchhof bei St. Mangen alle Grabsteine, Kreuze und den Ölberg entfernen. Für verstorbene Pfarrer und ihre Ehefrauen war der Platz zwischen damaligem Eingang (südlichem Querarm) und Turm reserviert. Nach der Reformation war der alte Friedhof noch wichtiger geworden und wurde deshalb weiter vergrössert: St. Mangen war der
Abdankungsort für die protestantischen Altstadtbewohner. 1876 konnte endlich der neue gesamtstädtische interkonfessionelle Friedhof ausserhalb der Stadt, im Feldli, eröffnet werden. Im selben Jahr wurde der alte, zu eng gewordene Kirchhof St. Mangen aufgegeben, 1897 abgeräumt und zum Park umgestaltet.
Die leere Wiborada-Kapelle wurde 1567 für die von Vadian der Stadt vermachten Bücherei (Vadiana) vergrössert und diente dieser bis 1614, später dem „Collegium Musicum in St. Magni Gewölb“. 1774 wurde das „Gewölbe“ nach einem Erdbeben wegen Einsturzgefahr leider abgerissen.
1731 erhielt der Turm der Kirche St. Mangen nach einem Blitzschlag und zerstörten Glocken 4 neue Glocken von der Glockengiesserei Ernst in Lindau und den jetzigen Pyramidenhelm. 1913 goss Rüetschi in Aarau das jetzige, wiederum vierteilige Geläute.

Quartierkirche mit Gastgemeinden
Der die Stadtgestaltung prägende Architekt F. W. Kubly wollte 1837 auch die alte, bald ruinöse Kirche abreissen und durch einen klassizistischen Neubau ersetzen, was aber abgelehnt wurde. Daraufhin wurde die Kirche von ihm ab 1839 umfassend renoviert. In der Folge des 1. Vatikanischen Konzils 1870 entstand in St. Gallen der „Verein freisinniger Katholiken“, aus dem sich die Christkatholische Kirche bildete. Ihr stellte die evang. Kirchgemeinde ab 1876 die St. Mangenkirche zur Verfügung, bis sie 1895 ihre Christuskirche auf dem Rosenberg einweihen konnte.
Als seit etwa 1860 die theologischen „Richtungen“ wichtig wurden, wurden die Pfarrer noch lange aufgrund ihrer Richtung gewählt. St. Laurenzen galt als vorwiegend einflussreich „liberal“, St. Mangen als Kirche der einfacheren frommen Kreise „positiv“, d.h. bibeltreuer.
Im Rahmen der Gesamtrenovation von 1877 wurden in der Kirche Heizung und Orgel eingebaut. Östlich der Kirche steht seit 1958 anstelle von früheren Wohnbauten das evang. Kirchgemeindehaus. 1979 fand die traditionsreiche Eglise française in der St.Mangenkirche eine neue Heimat.