St. Gallen Centrum

Inspiriert vom Jakobusbrief

St. Moritz (7.1.25) 1 (Foto: Sabrina Koller)
Am Dreikönigstag haben wir uns zu dritt auf die Reise nach Randolins bei St. Moritz gemacht. Nicht, um dem Stern von Bethlehem zu folgen, sondern um uns mit einer Schrift aus der Bibel zu beschäftigen, die oft stiefmütterlich behandelt wird: Dem Jakobusbrief.
Martin Luther nannte diesen Brief eine «Stroherne Epistel», weil einige Aspekte im (scheinbaren) Widerspruch zu dem stehen, was das der Apostel Paulus als Zentrum seiner Theologie einbringt. Fünf Tage haben wir mit 20 weiteren Pfarrer:innen zwei ausgezeichneten Professoren gelauscht, die den Jakobusbrief Vers für Vers auseinandergenommen und historisch-kritisch hinterfragt haben. Was haben wir gelernt?

Stefan Lippuner:
Meine wichtigste Erkenntnis war, dass wir den Jakobusbrief mit einer anderen Brille lesen müssen, als Luther es tat: nicht als dogmatisches Lehrbuch, sondern als Ratgeber für Leben und Glauben. Der Brief hat eine grosse Nähe zur jüdischen Weisheitsliteratur. Bei dieser geht es um die Weisheit als Fähigkeit, das Leben sinnvoll, erfolgreich und gottgefällig zu gestalten. So will auch Jakobus in erster Linie praktische Ratschläge und Anweisungen für ein gelingendes Leben als Christen in dieser Welt weitergeben.
Markus Unholz:
Mich hat das realistische, ja moderne Menschenbild des Jakobusbriefs angesprochen. «Zwei Seelen» haben wir oft in uns und sind bei Herausforderungen, die uns das Leben oder der Glaube stellt, hin- und hergerissen zwischen Mut und Verzagtheit, Vertrauen und Zweifel, Aufbegehren und Akzeptieren. Der Verfasser rät uns, im Gebet Gott zu bitten, dass er uns zur Weisheit führe, mit unseren vielfältigen Gefühlen, wie sie nun mal sind, umgehen zu können.

Kathrin Bolt:
Mich beeindruckt, wie Jakobus mit starken Bildern aufzeigt, dass viele Menschen zuerst nach Ansehen und Reichtum streben und mit Neid auf diejenigen schauen, die mehr haben: Euer Reichtum ist verfault, eure Prachtkleider von Motten zerfressen, (…) Dabei habt ihr sogar die Arbeiter, die eure Felder abernten, um ihren Tageslohn gebracht. Dieses Unrecht schreit zum Himmel! (Jak 5,2-5) Wenn ich das lese, werde ich traurig. Genauso erlebe ich unsere ungleiche, geldgierige Welt. Wo kann ich aus diesem System aussteigen und geduldig – wie Jakobus rät – tätig werden, damit das Leben anderer reicher wird?
Die Weiterbildung in Randolins hat uns erfüllt und weitergebracht. Neben den wertvollen wissenschaftlichen Impulsen waren das gemeinsame Singen, Skifahren und Spazieren an der Sonne die richtige Inspiration. Einige Erkenntnisse aus dieser Kurswoche fliessen bestimmt in unsere Predigten ein.

Foto: Stefan Lippuner
Text: Kathrin Bolt, Stefan Lippuner, Markus Unholz